Im Großen wie im Kleinen
Ein Garten ist ein Wunder. Jeden Tag aufs Neue, zu jeder Jahreszeit, bei jedem Wetter. Das Wunder der Blütenexplosion von Nachtkerzen in der Dämmerung. Das Wunder des immerwährenden Prozesses von Werden und Vergehen. Die Wunder von Struktur und Textur, Überfluss und Reduktion, Grobem und Feinem. Weiches und Festes, Frisches und Verwelktes, Blütenfest und Winterruhe, Weite der Landschaft und Details in Farben und Formen – so viele Wunder.
Ein Garten verbindet. Ein Garten kann Freude bereiten und macht Arbeit. Mein Garten macht viel Arbeit. Er ist ein Refugium, in dem neben Gemüse- und Kräuterbeeten, neben Beeren und Obstbäumen unzählige Rosen und Bauerngartenstauden gedeihen, aber auch einiges aus Gärtnerinnensicht weniger Erfreuliches und dennoch Bedeutsames Platz gefunden hat. Manchem Unerfreulichen kann ich bis heute nicht Bedeutsames abgewinnen, zum Beispiel den Buchsbaumzünslern mit ihrer unbändigen Ausbreitung und Zerstörung. Während rundherum Buchsbäume auf den Grünschnittsammelstellen entsorgt wurden, war Aufgeben für mich dennoch keine Option.
Mein großes Gartenglück ist der Walnussbaum. Wie die Kirchturmspitze ist er schon von weitem zu sehen. Die Vorbesitzer pflanzten ihn kurz nach dem Ersten Weltkrieg. Ein Friedens- und Nährbaum im besten Sinne. Überhaupt die Nährbäume, allen voran die Obstbäume. Alte Sorten wie die Welsche Bergbirne, eine Mostbirne, und der sehr frühe Jakob Fischer, die sich den modernen Prinzipien sortenarmer Obstplantagen entziehen.
Mein Garten lehrt mich Demut. Nicht alles, was im Plan gelungen scheint, hat in der Praxis Bestand. Miteinander im Garten will gelernt sein. Lernende bin ich hier. Mein Garten ist ein großes Labor des Probierens, des Beobachten und des Nachsteuerns, immer und immer wieder. Zum Beispiel die Hauswände, mittlerweile von Efeu, Wein und Rosen berankt. Ursprünglich nur der Optik wegen, doch Käfer, Spinnen und Vögel lieben Blüten und Früchte. Im Herbst fallen die Stare ein und picken unter unvorstellbarem Lärm Beeren und Trauben. Die Amseln bauen ihr Nest im Geflecht und im Haus bleibt es auch bei sommerlicher Hitze angenehm kühl.
Mein Garten ist ein artenreicher Garten, in dem sich Sandbienen, Hornissen und Grashummeln, Tagpfauenauge und Taubenschwänzchen, Gartenrotschwanz, Zaunkönig und Mönchsgrasmücke, Igel und Fledermäuse niedergelassen haben. Immer kritisch beäugt durch die Schar wilder Hühner, die scheinbar ohne System die Wiesen abgrasen und an allen möglichen und unmöglichen Stellen Badelöcher in der trockenen Erde anlegen, in denen sie sich mit größtem Vergnügen wälzen. Die Schafe ficht das nicht an. Genügsam und meistens zufrieden, doch immer auf der Suche nach einer Lücke im Zaun, denn die Wiese bei der Nachbarin schmeckt viel besser. Im späten Abendlicht schwebt die Schleiereule als dunkler Schatten über die Scheune hinweg. Ihr schaurig beruhigender Schrei läutet die Nacht ein.
Mein Garten ist ein kleines Ökosystem mit Tümpel und Wasserstellen, Totholzhecken, insekten- und vogelfreundlichen Blühsträuchern, und Blühwiesen. Ein Ökosystem mit Ausbreitungsdrang über die Grenzen des Grundstücks hinweg. Nachtkerze, Mondviolen und Goldlack haben sich fleissig ausgesämt. Die Nachbarschaft verfolgt das Werden und Wachsen mit zunehmendem Interesse und mit Neugier, denn Bienensterben und Versiegelung werden mittlerweile auch im Dorf diskutiert.
Die Kunst an so einem Garten ist, nicht nur die Arbeit zu sehen, sondern das Zusammenspiel, das Werden und das Gelingen. So ein Garten braucht Leidenschaft, Wissen und Erfahrung und wird doch nie fertig. Mein Garten ist die größte Inspirationsquelle für mein Tun. Mein Garten ist eine Einladung.
Die Stadt als Garten zu verstehen, ist mein Anspruch.
Katrin Korth